THYROID-LIT. 50962

The influence of emotions on treatment decisions about low-risk thyroid cancer: A qualitative study  

Pitt, S. C.; Saucke, M. C.; Roman, B. R.; Alexander, S. C. and Voils, C. I.

(Dept. of Surgery, University of Wisconsin School of Medicine and Public Health, Madison, Wisconsin; Div. of Head and Neck, Dept. of Surgery, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, New York; Dept. of Public Health, Purdue University, West Lafayette, Indiana; Research Service, William S. Middleton Memorial Veterans Hospital, Madison, Wisconsin; Current affiliation: Dept. of Surgery, University of Michigan, Ann Arbor, MI, all USA)

Thyroid, 31: 1800-1807 (2021)

Die meisten Patienten mit einem Schilddrüsenkarzinom werden auch bei einer Low-risk-(LR-)Konstellation immer noch einer totalen Thyreoidektomie unterzogen, die von allen Therapieansätzen mit der höchsten Morbidität assoziiert ist.

Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass eine weniger radikale Vorgehensweise wie die Hemithyreoidektomie oder bei ausgewählten Patienten auch eine engmaschige Verlaufskontrolle ohne primär chirurgische Intervention zu ähnlich guten Ergebnissen bezogen auf das Langzeitüberleben führt.

Bei Diagnose eines LR-Schilddrüsenkarzinoms obliegt es dem Patienten auf der Basis der ihm präsentierten Therapieoptionen unter Abwägung der jeweiligen Vorteile bzw. Risiken, die für ihn adäquate Behandlungsstrategie auszuwählen. Dieser Prozess ist komplex, und die Entscheidungsfindung wird offenbar nicht unwesentlich von Gefühlen beeinflusst.

Die hier präsentierte Studie beschäftigt sich mit der Rolle, die Gefühle bei der Therapieentscheidung nach Diagnose eines LR-Schilddrüsenkarzinoms in der Kommunikation zwischen Patient und behandelndem Chirurg spielen.

Hierzu wurden Gespräche zwischen Patienten (n = 30) und Chirurgen (n = 9) in zwei verschiedenen Universitätskliniken in den USA aufgezeichnet und in schriftliche Verlaufsprotokolle übertragen, die dann anschließend im Hinblick speziell auf emotionale Inhalte analysiert wurden.

Emotionale Aspekte bei den Patienten bezogen sich vor allem auf die Karzinomdiagnose und auf die Frage des zu erwartenden Therapieerfolges bzw. der damit möglicherweise verbundenen negativen Auswirkungen auf das spätere Leben. Die Konfron­tation mit der Diagnose war vor allem mit negativen Gefühlen konnotiert wie Furcht bzw. Angst angesichts der Krebserkrankung und die Sorge davor, dass der Krebs wachsen und sich weiter ausbreiten könnte.

Die Reaktion der Chirurgen war häufig weniger durch Empathie und Bestätigung gekennzeichnet, sondern stellte vor allem den Aufklärungsaspekt in den Vordergrund. Besonders betont wurden die geringe Wahrscheinlichkeit für relevante Nebenwirkungen der Therapie, das langsame Wachstum von Schilddrüsenkarzinomen und die exzellente Prognose im Vergleich mit anderen Karzinomerkrankungen. Bei Diskussion der unterschiedlichen Therapieoptionen verwendeten die Chirurgen häufig Formu­lierungen, die sich auf emotionale Folgen der jeweiligen Therapieform bezogen. So führe die Thyreoidektomie zu Seelenfrieden oder einem Gefühl der Komplettheit, während bei einer weniger radikalen Vorgehensweise oder reinen Überwachungsstrategie Schilddrüsengewebe und damit möglicherweise auch Krebszellen im Körper verbleiben würden, was als störend oder beunruhigend empfunden werden könne. Mehrere Chirurgen hoben darauf ab, dass es in der Therapiefrage mehrere richtige Antworten gebe und bei der Entscheidung keine Eile geboten sei.

Die Studie zeigt, dass die Therapieentscheidung bei Patienten vor allem mit negativen Emotionen assoziiert ist. Chirurgen verpassen offenbar häufig die Gelegenheit, den Prozess der Entscheidungsfindung mit Empathie zu begleiten, und stellen den reinen Aufklärungsaspekt ganz in den Vordergrund. Furcht und Angst des Patienten werden sowohl von den Patienten selbst als auch von den Chirurgen als Hauptgründe für die Entscheidung zur Thyreoidektomie und gegen eine aktive Überwachung angegeben.

Die durch eine Thyreoidektomie herbeigeführte Gewissensberuhigung – sowohl beim Patienten als auch beim Chirurgen – bedingt möglicherweise eine Überbehandlung von Patienten mit LR-Schilddrüsenkarzinom.

Letzte Aktualisierung: 20.07.2022