LITERATUR

THYROID-LIT. 50928

Individualized therapy for hypothyroidism: is T4 enough for everyone?

Ettleson, M.D.; Bianco, A.C.

(Section of Adult and Pediatric Endocrinology and Metabolism, University of Chicago, Chicago, Illinois, USA)

J Clin Endocrinol Metab, 105 (9): e3090 – e3104

Immer wieder werden Ärzte mit Fragen von Patienten konfrontiert, die über Symptome einer Hypothyreose klagen, obwohl der TSH-Wert im Zielbereich liegt. Die Verfasser unternahmen daher eine Literaturrecherche mit der Frage nach dem Stellenwert einer zusätzlichen Therapie mit Trijodthyronin (L-T3).

Eine der grundlegenden Beobachtungen war, dass bei Patienten unter einer Monotherapie mit Levothyroxin (L-T4) der T3-Wert im Serum niedriger ausfiel als bei Kontrollpersonen. Diese Beobachtung blieb jedoch nicht unwidersprochen. Zitiert werden zwei große Studien, darunter die US-nationenweite NHANES-Untersuchung, die ergaben, dass bei mit L-T4 behandelten Patienten im Vergleich zu Kontrollpersonen T4 bzw. fT4 im Serum höher ausfielen und T3 bzw. fT3 im Serum niedriger. Bei 15,2 % der Patienten fiel T3 in einer Studie vermindert aus. Diese Beobachtung fand Eingang in die Leitlinie der Amerikanischen Schilddrüsengesellschaft ATA, die aber nach mehr Studien zur klinischen Signifikanz dieser Beobachtung fragte. Ursächlich wird eine unterschiedliche Dejodinaseaktivität in der Hypophyse und in der Peripherie vermutet.

In einem weiteren Abschnitt der umfangreichen Übersicht stellten die Verfasser dar, dass bei Patienten unter L-T4-Therapie und normalem TSH nicht alle Organsysteme „normalisiert“ sein müssen. Hierzu wurden Studien zitiert, die darauf hindeuteten, dass beispielsweise das kardiovaskuläre System „normal“ sein kann, andererseits z. B. der Metabolismus „hypothyreot“. Auch hier wird auf gewebespezifische Aktivität der Dejodinase Typ 2 hingewiesen, ebenso auf die unterschiedliche Verteilung des Schilddrüsenhormon-Rezeptors (TR) α und β. So dominiert TR α in der Skelett- und Herzmuskulatur, TR β in der Hypophyse, Leber oder im Fettgewebe.

Auch werden metabolische Studien zitiert, in denen Patienten trotz normalem TSH unter L-T4 eine niedrigere basale metabolische Rate (BMR), ein höheres Körpergewicht und eine verminderte körperliche Aktivität als gesunde Vergleichspersonen aufweisen. Zudem haben in Studien Patienten, die L-T4 einnehmen, um 15 mg/dl höhere Gesamtcholesterinwerte und um 6 mg/dl höhere LDL-Cholesterinwerte, trotz normaler TSH-Konzentration. Die schon erwähnte NHANES-Studie ergab, dass Patienten unter L-T4-Therapie zu 54 % wahrscheinlicher Statine einnehmen müssen als gematchte Kontrollpersonen. Diese Beobachtung wird darauf zurückgeführt, dass die Schilddrüsenrezeptoren in der Leber empfindlich auf das verfügbare T3 reagieren.

Zudem zeigen klinische Studien, dass Personen unter L-T4 und normalem TSH weiterhin Symptome einer Hypothyreose aufweisen können, u. a. kognitive Beeinträchtigungen oder Müdigkeit. Gleichwohl sind die meisten Patienten unter der L-T4-Monotherapie asymptomatisch. Für diese Unterschiede, so die Autoren, können genetische Faktoren eine Rolle spielen, wie Polymorphismen der Typ-2-Dejodinase. Auch immunologische Einflüsse werden beschrieben, wie mögliche Effekte der Antikörper auf das zentrale Nervensystem. Gleichwohl fehlen weitere aussagekräftige Studien, ob eine zusätzliche Einnahme von L-T3 empfohlen werden kann. Bisher vorliegende Untersuchungen haben zumeist keinen Vorteil einer Kombination gezeigt.

In den Leitlinien der Europäischen Schilddrüsengesellschaft wird diese Therapie als „experimentell“ bezeichnet. Die Autoren dieser Übersicht schlagen daher ein individualisiertes Vorgehen vor. In manchen Fällen, z. B. bei persistierenden Symptomen, kann eine Verabreichung von L-T3 ein- oder zweimal täglich erwogen werden, solange TSH im Normbereich gemessen wird.

Letzte Aktualisierung: 04.06.2021