LITERATUR

THYROID-LIT. 50909

Thyroid cancer incidence trends in the United States: association with changes in professional guidelines recommendations.

Pereira, M.; Williams, V.L.; Johnson, J.H.; Valderrabano, P.

(Dept. of Diagnostic Imaging and Interventional Radiology; Collaborative Data Services Core; Dept. of Head and Neck – Endocrine Oncology, H. Lee Moffitt Cancer Center and Research Institute, Tampa, Florida. Dept. of Endocrinology and Nutrition, Hospital Universitario Ramón y Cajal, IRYCIS, Madrid, Spain)

Thyroid, DOI: 10.1089/thy.2019.0415

Verschiedene Untersuchungen belegen die steigende Inzidenz von Schilddrüsenkarzinomen. In der Zwischenzeit stellen sie den sechsthäufigsten Tumor bei Frauen in den Vereinigten Staaten dar.

Zumeist haben diese Karzinome einen Durchmesser von weniger als 2 cm und sind asymptomatisch. Verschiedene Faktoren wurden für diesen Anstieg der Inzidenz als Ursache vermutet.

Hier gingen die Verfasser der Frage nach, inwieweit die jeweils aktuellen Leitlinien dies beeinflusst haben mögen. Die Daten hierzu wurden aus dem „Surveillance, Epidemiology, and End Results Program (SEER)“ retrospektiv abgeleitet. Dies geschah anhand von neun lokalen Registern des SEER, die ca. 10 % der US-amerikanischen Bevölkerung umfassen. Hieraus wurde die Inzidenz eines Schilddrüsenkarzinoms während der Jahre 1975 bis 2016 errechnet (n = 90.803).

Von den 90.803 Patienten waren ca. 2/3 (67,75 %) älter als 40 Jahre, 75,04 % gehörten dem weiblichen Geschlecht an. Am häufigsten lag ein papilläres Karzinom vor (86,35 %), gefolgt vom follikulären Karzinom (10,17 %), dem medullären Karzinom (2,26 %) und dem anaplastischen Karzinom (1,23 %). Die meisten Tumoren hatten weniger ≤ 2 cm Durchmesser: 29,96 % zwischen 0,01 und 1,0 cm, 24,42 % zwischen 1,1 und 2 cm, 21,03 % zwischen 2,1 und 4,0 cm und 8,69 % mit mehr als 4,0 cm Durchmesser.

Die (jährliche) Inzidenz eines Schilddrüsenkarzinoms stieg während der Beobachtungsphase um 2,77 % an (95 %-Vertrauensbereich (CI) 1,60–3,74 %). Der Anstieg war bei Personen im Alter von 40 Jahren oder älter stärker ausgeprägt als bei jüngeren Personen (2,94 % (95 % CI 1,78–4,10 %) vs. 2,00 % (95 % CI 1,33–2,68 %). Dabei stieg die Inzidenz stärker bei papillären Karzinomen, kleinen Tumoren, insbesondere mit weniger als 1 cm Durchmesser, sowie Tumoren mit geringer Ausdehnung.

Vergleicht man die Trends der Inzidenz mit den zur jeweiligen Zeit gültigen Leitlinien, so zeigte sich zunächst für den Zeitraum von 1996–1999 eine Zunahme in der Inzidenz von Schilddrüsenkarzinomen. Dies wird im Zusammenhang mit der erstmaligen Publikation von Leitlinien der Amerikanischen Schilddrüsengesellschaft ATA zu Schilddrüsenknoten und -karzinomen gesehen (1996), in denen die Bedeutung der Sonografie und der Feinnadelpunktion hervorgehoben wurde. Im Jahr 1998 wurde durch die Amerikanische Gesellschaft klinischer Endokrinologen (AACE) der erste Sonografiekurs abgehalten. Ein weiterer Effekt war zwischen 2009 und 2010 zu verzeichnen. Während dieser Zeit nahm die Inzidenz ab. Im Jahre 2009 hatte die ATA Leitlinien formuliert, in denen keine Punktion bei Knoten von weniger als 1 cm Durchmesser angeraten wurde und bei sonografisch nicht suspekten Knoten nicht mehr empfohlen wurde.

Auch bezüglich der Diagnose der follikulären Variante eines papillären Karzinoms (FV-PTC) ließen sich Einflüsse feststellen: 1998 modifizierte die WHO die Klassifikation von Schilddrüsenkarzinomen. Hierbei wurde zusätzlich das Vorhandensein atypischer Zellkerne berücksichtigt. Dies führte zu einem Anstieg in der Diagnosestellung eines FV-PTCs, während die Inzidenz des „klassischen“ follikulären Karzinoms abnahm. Zudem wurde 2015 in den ATA-Leitlinien eine höhere Schwelle für die Durchführung einer Punktion publiziert, insbesondere bei sonografischen Bildern, die mit einem FV-PTC vereinbar sind. Ferner wurden auf der Grundlage dieser Empfehlungen viele Tumoren nicht mehr als FV-PTC klassifiziert, sondern als „noninvasive follicular thyroid neoplasms with papillary–like nuclear features (NIFTP)“. Hier wurde also der Begriff des „Karzinoms“ nicht mehr verwendet. Hierdurch wurde die Inzidenzrate gesenkt.

Insgesamt zeigt die Arbeit den Einfluss der jeweils aktuellen Leitlinienempfehlungen auf die Inzidenzrate eines Schild­drüsen­karzinoms. Hier verweisen die Autoren auch auf das Problem einer eventuellen Überdiagnostik.

Letzte Aktualisierung: 22.07.2020